Dienstag, 6. September 2016

Tiefenpsychologisch fundierte Richtlinientherapie

Warum und wozu eigentlich Richtlinientherapie? 

Richtlinienpsychotherapie – das klingt nach Bevormundung und Reglementierung, nach Einschränkung von Freiheit und Kreativität, nach Spaßbremse. Doch stimmt dieses Vorurteil? Schaffen sichere Rahmenbedingungen und eine klare Orientierung nicht oft erst die Voraussetzungen dafür, dass die Begegnung von Patient und Therapeut den gewünschten nachhaltigen Veränderungs- und Heilungsprozess in Gang setzen kann, und zwar in angemessener Zeit?

Psychotherapie muss die individuellen Entwicklungschancen und -aufgaben, die sich aus der Symptomatik und dem besonderen Leidensdruck jedes Einzelfalls psychischer Krankheit ergeben, erkennen und nutzen. Zuverlässige Indikations- und Kontraindikationskriterien sind dabei ebenso wichtig wie eine realistische Einschätzung der Ressourcen und Defizite des Patienten, damit Psychotherapie für Therapeut und Patient nicht zur Frustveranstaltung wird. Sie verhindern die Enttäuschung und den Schaden, die überzogene Erwartungen an die Therapie, die Überschätzung der Patienten und ungeeignete Therapieversuche zwangsläufig mit sich bringen. Sie verhindern auch, dass Kassenpsychotherapie zum Fass ohne Boden für die Versichertengemeinschaft und die kassenärztlichen Versorgungsbudgets wird.

Richtlinienpsychotherapie als Privileg 

Die deutsche Richtlinienpsychotherapie verdient den ihr oft entgegengebrachten Unmut nicht. Sie stellt ein weltweit einzigartiges Privileg dar, von dem Patienten und Therapeuten gleichermaßen profitieren. Bis 1967 wurden psychotherapeutische Leistungen von den Krankenkassen schlicht und einfach nicht bezahlt. Erst durch Annemarie Dührssen konnten die Wirksamkeit von Psychotherapie und auch ihre wirtschaftlichen Vorteile so eindrucksvoll demonstriert werden, dass die Vertreter der Krankenkassen und der Ärzteschaft endlich bereit waren, Psychotherapie in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufzunehmen. Der Preis für diesen Fortschritt waren die Psychotherapie-Richtlinien von 1967, an denen Dührssen federführend mitwirkte. Sie sollten unter anderem sicherstellen, dass die Leistungspflicht der Kassen für psychotherapeutische Leistungen nicht ausuferte. Nirgendwo sonst auf der Welt werden so viele Psychotherapiesitzungen pro Patient zu 100 Prozent von den Kassen finanziert. Bis heute sind nur die psychodynamischen Verfahren (tiefenpsychologisch fundierte und analytische Psychotherapie) sowie die Verhaltenstherapie als Richtlinienverfahren vom Gemeinsamen Bundeausschuss zugelassen.

Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapeuten genießen eine große Gestaltungsfreiheit

Anders als bei der Verhaltenstherapie und der analytischen Psychotherapie schreibt die Richtlinie keine bestimmten Techniken und Konzepte vor. Allerdings müssen die zum Einsatz kommenden diagnostischen und therapeutischen Techniken und Interventionen in die übergeordnete und ordnende Matrix der Richtlinienbestimmungen eingebettet sein: Zentral für die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie sind die Darstellung und Bearbeitung eines aktuellen unbewussten inneren Konflikts, der in der Regel durch aktuelle Veränderungen und Anforderungen ausgelöst wird, welche ihrerseits die unbewusste Neurosendisposition sowie das Strukturniveau des Patienten überfordern. Die Abwehr-, Kompensations- und Selbstschutzorganisation des Patienten bricht zusammen, und es kommt zur Symptomatik, welche – oft nach Umwegen – zur Inanspruchnahme von Psychotherapie führt.

Wissenschaftliche Grundlagen
Psychodynamische Grundbegriffe
Diagnostik und Therapietechniken